Stellungnahme des Polnischen Sozialrates zum 13. Integrationsgipfel

Polska Rada Społeczna - Unkategorisiert - Stellungnahme des Polnischen Sozialrates zum 13. Integrationsgipfel

Berlin, 9.03.2021

Stellungnahme des Polnischen Sozialrates zum 13. Integrationsgipfel

Der Polnische Sozialrat fordert die Erstellung eines eigenständigen Plans für die Partizipation von EU-Bürger*innen in Deutschland. Bislang hat die Bundesregierung keine erkennbare Gesamtstrategie für die größte Gruppe von Neuzuwanderer*innen, deren Rechte und Teilhabeperspektiven kaum beachtet werden: aus dem EU-Ausland kommen Menschen und nicht nur Arbeitskräfte!

Strategie für bessere Partizipation und Teilhabe von Unionsbürger*innen in Deutschland

Die Mobilität von EU-Bürger*innen gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der EU. Durchgesetzt wird sie jedoch vor allem auf dem Arbeitsmarkt, weniger, wenn es um Rechte und Teilhabe geht. Es braucht mehr; eine EU-Bürgerschaft, die ausschließlich auf freiem Personen- und Dienstleistungsverkehr basiert, schwächt die Demokratie und die demokratische Vertretung der EU-Bürger*innen in Deutschland.

Die aktuelle Gesundheitskrise hat es noch einmal deutlich gemacht: nur unter Einbezug aller sozialer Gruppen können Herausforderungen gemeinsam bewältigt und das Funktionieren einer offenen Gesellschaft gesichert werden. In der inländischen Integrationsdebatte wird die Partizipation von Bürger*innen aus dem EU-Ausland, insbesondere aus Mittel- und Osteuropa, jedoch weiterhin zu wenig thematisiert. Die Pandemie hat gezeigt, dass immer wieder Rechte von EU-Bürger*innen nicht eingehalten werden: Pendler*innen werden an der Grenze zurückgewiesen, Fleischfabriken – in denen fast ausschließlich Arbeitsnehmer*innen aus der EU arbeiten – werden zu Infektionsherden, Pfleger*innen werden nach wie vor als 24-Stunde-Pflege ausgenutzt.

Im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels bietet die EU-Migration große Chancen für Deutschland. Es wurde jahrelang versäumt eine Integrations- und Teilhabepolitik für die größte Gruppe von Neuzuwanderer*innen in der Bundesrepublik zu entwickeln. Wir müssen jetzt handeln, um dieses Potential im Sinne der zu uns kommen Menschen sowie unserer gesamten Gesellschaft optimal zu nutzen. Sonst wiederholen sich die Fehler, die bei der sogenannten Gastarbeiter Generation der 60er Jahre gemacht wurden.

Unionsbürger*innen stellen nahezu die Hälfte der in Deutschland lebenden Zugewanderten mit ausländischem Pass. Sie leben und arbeiten in Deutschland auf Grundlage des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der EU-Freizügigkeitsrichtlinie (2004/38/EG). Eine große Anzahl dieser Unionsbürger*innen sind mobile Beschäftigte, die sich im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit kurz- oder mittelfristig zum Arbeiten in Deutschland aufhalten. Viele von ihnen verfügen über nur geringe Deutschkenntnisse, sind deutlich unter ihrer Qualifikation in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig und wissen wenig über ihre Rechte als Arbeitnehmer*innen. In der Praxis wird das ihnen und ihren Familienangehörigen mit der Unionsbürgerschaft verbriefte Recht auf Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit häufig nicht eingelöst.[1]

Daher fordert der Polnische Sozialrat die Erstellung eines eigenständigen Plans für die Partizipation von EU-Bürger*innen in Deutschland und die Stärkung der Organisationsstrukturen innerhalb der Zivilgesellschaft, die sich mit diesen Themen befassen. Dieser Plan soll durch die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der EU-Bürger*innen, den entsprechenden EU-Institutionen sowie unter Beteiligung der Migrantenorganisationen formuliert werden.

Wir wollen eine wirksame Willkommens- und Teilhabekultur für EU-Bürger*innen schaffen, insbesondere durch:

  • Die Einberufung einer Kommission aus Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und inländischer Institutionen zur Erstellung eines Plans für die Teilhabe und Integration von EU-Bürger*innen (in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Migrantenorganisationen);
  • Eine noch im Jahre 2021 bereitzustellende Finanzierung von Migranten-NGO-Vereinen, die sich mit den Problemen von EU-Bürger*innen in Deutschland befassen und die Ausstattung dieser Strukturen mit Ressourcen, die sie zu gleichberechtigten sozialen Akteuren machen;
  • Die Aufnahme von Gesprächen zwischen der Bundesregierung, der EU, den Herkunftsländern und Organisationen, die die Interessen der mobilen EU-Bürger*innen vertreten;
  • Die Erstellung einer Teilhabe- und Integrationsstrategie für mobile EU-Bürger*innen,
  • Erleichterter Zugang zu Sprachkursen, Berufsorientierungskursen und Krankenversicherung für Neuzugewanderte;
  • Besondere Aufmerksamkeit gegenüber nachziehenden Frauen und Kindern, die von den fehlenden Integrationsmaßnahmen und den Folgen der Pandemie stark betroffen sind;
  • Die Bereitstellung von Informationen zu Teilhabe-relevanten Themen in den EU-Herkunftssprachen;
  • Die Vorbereitung und Unterzeichnung eines Vertrags zwischen Deutschland und Polen nach Vorbild des Aachener Vertrags zwischen Deutschland und Frankreich;
  • Maßnahmen zur Erhöhung der Bleibe- und Teilhabeperspektiven für benachteiligte Menschen aus Mittel- und Osteuropa – unter spezieller Berücksichtigung von prekär Beschäftigten sowie der Wohnungs- und Obdachlosen Problematik;
  • Zeitnahe Einführung von Sonderregelungen für Pendler*innen (die durch die aktuelle Pandemielage besonders schwer getroffen sind).

Die Stellungnahme des PSR als Vertretung des Polnischen Bundesnetzwerk Partizipation und Soziales zum 13. Integrationsgipfel befindet sich auf der Internetseite des Polnischen Sozialrates e.V. www.polskarada.de


[1] Dazu kommen Menschen mit EU-Migrationshintergrund und doppelter Staatsbürgerschaft bzw. deutschen Pass, deren Zahl nicht genau bestimmt ist. Für die polnische Community, die nach der türkischen die Zweitgrößte migrantische Gruppe in der BRD darstellt, belaufen sich die Schätzungen auf ca. 2 Mio. Menschen, darunter 862.535 nur mit polnischem Pass (Statista 2019).