Interview mit Katarina Niewiedzial, Integrationsbeauftragte des Landes Berlin
Seit Mai 2019 ist die gebürtige Polin Katarina Niewiedzial Integrationsbeauftragte des Landes Berlin. Im Interview erläutert sie die aktuellen Herausforderungen von Menschen mit polnischer Migrationsgeschichte.
Mit welchen Problemen sind Pol*innen in Deutschland aktuell konfrontiert?
Die Gruppe der Pol*innen ist sehr heterogen, daher ist die Frage nicht pauschal zu beantworten. Wir haben viel mit polnischen Frauen zu tun, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind und sehr gute Qualifikationen mitbringen. Diese Frauen, häufig Mütter, sind finanziell einigermaßen abgesichert und daher auf Sozialleistungen nicht angewiesen. Dennoch stehen sie vor großen Hürden: Sie finden nur schwer eine Arbeit. Obwohl sie gut ausgebildet sind, können sie hier nicht so leicht Fuß fassen.
Neben der zentralen Frage nach Anerkennung der Qualifikation geht es auch um die Möglichkeiten, sich gesellschaftlich einzubringen. Die Begegnungen und die Gespräche, die ich führe, zeigen mir, wie die Menschen unter mangelnder Partizipation leiden. Sie führt zu sozialer Isolation und häufig auch zu psychischen Belastungen. Diese Beobachtung habe ich gerade bei polnischen Migrant*innen häufiger gemacht. Deshalb finde ich die Arbeit von Migrantenorganisationen so wichtig, sie sind ein wichtiger Ort für Menschen, die sich engagieren wollen und häufig ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt.
Welche Meilensteine sehen Sie bei der Entwicklung der Wahrnehmung der Situation von Migrant*innen?
Unabhängig von Corona stand das letzte Jahr stark im Zeichen der Emanzipation und Sichtbarkeit von Minderheiten. Ein zentrales Thema waren die vielen Proteste, die sich um Fragen der Anerkennung drehten. Wir haben nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA weltweite Demonstrationen gegen Rassismus erlebt. Der Kampf um Anerkennung zeigt, dass Menschen mit Migrationsgeschichte dazu gehören möchten. Und was kann einer Gesellschaft denn besseres passieren als Menschen, die mitgestalten wollen? Ich finde es großartig, dass sie kämpfen und es ist schade, dass die Politik das nicht mehr aufgreift.
Inwiefern klappt die Umsetzung des Berliner Partizipationsgesetzes?
Berlin war vor zehn Jahren das erste Bundesland, das ein solches Gesetz verabschiedet hat. Der Impuls dafür kam vor allem aus der Zivilgesellschaft: aus dem Landesbeirat für Integrationsfragen. Unter dem Stichwort der „interkulturellen Öffnung“ wurden beispielsweise Integrationsausschüsse in den lokalen Parlamenten integriert und Integrationsbeauftragte auf kommunaler Ebene eingesetzt. Doch die Bilanz nach zehn Jahren zeigt klar: Das Gesetz ist nicht konkret genug und folglich zu wenig umgesetzt. Auch sind einige Konzepte und Begriffe nicht mehr zeitgemäß. Deshalb überarbeiten wir das Gesetz und passen es an die aktuellen Erfordernisse an. Seine ursprünglichen Ziele bleiben bestehen, werden jedoch konkretisiert. Das Partizipationsgesetz ist ein positives Fördergesetz. Wir wollen Gruppen, die bisher unterrepräsentiert sind, bewusst fördern. So entsteht Chancengleichheit.
Welche Hürden bestehen in der Mehrheitsgesellschaft? Was machen Polen falsch bzw. richtig im Vergleich zu anderen Migrant*innen?
Ich finde, dass die Pol*innen sehr gut verstanden haben, wie man sich vernetzt und eine politische Lobby aufbaut. Dennoch sind sie weiterhin in dem Dilemma der Unsichtbarkeit gefangen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen mit polnischen Wurzeln mir in zahlreichen Institutionen begegnen, ohne ihre Migrationsgeschichte zu thematisieren. Das gehört vielleicht zum polnischen Pragmatismus dazu. Sie gehen ihren Weg, halten sich nicht auf und sind stolz auf das, was sie erreicht haben.
Eine Gruppe der Pol*innen verdient besondere Beachtung, denn sie befindet sich – integrationspolitisch gesprochen – unter unserem Radar. Es gibt eine große Anzahl von Menschen, die für einige Monate nach Deutschland kommen und hier als Erntehelfer*innen oder als Pflegekraft zu arbeiten. Zudem gibt es sehr viele Frauen, die täglich oder wochenweise als Reinigungskräfte zwischen Polen und Deutschland pendeln. Arbeitsrecht und Arbeitsschutz greifen hier nur schwer. Häufig stecken die Menschen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen fest, denn trotz allem verdienen sie deutlich mehr als in ihren Herkunftsländern.
Dieses Arbeits- und Lebensmodell hat große Auswirkungen auf die Arbeitnehmer*innen: Sie leben nirgendwo richtig und niemand fühlt sich richtig für sie zuständig. In einem gemeinsamen Europa ist das eine zentrale Frage, die rechtlich und sozial geregelt werden muss. Sie zeigt aber auch, dass Migration ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Daher spreche ich gerne von der Migrationsgesellschaft, in der sozialer Zusammenhalt ganz neu geregelt werden muss. Als Integrationsbeauftragte widme ich mich genau dieser Frage.
Welche Rolle spielt für Sie hier der Polnische Sozialrat?
Der Polnische Sozialrat hat dieses Problem erkannt. Der Verein ist ein wichtiger Akteur in Berlin und für uns ein wertvoller Draht in die polnische Community. Er berät sowohl Migrant*innen, die schon lange in Deutschland leben, als auch Pendlerinnen und Pendler. Die Beratungsprojekte des Polnischen Sozialrates werden auf Landesebene finanziert, doch dem Verein fehlt es an finanzieller Unterstützung seiner zahlreichen Aktivitäten auf Bundesebene. Es muss weiterhin darum gehen, Migrantenorganisationen zu stärken und ihre Arbeit auf Dauer zu stellen. Migrantenorganisationen sind wichtige Partner bei unserem Ziel, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte in allen Bereichen des politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens zu erhöhen.
Dr. Erik Malchow
Kulturwissenschaftler, gestaltet interkulturelle Trainings für Fach- und Führungskräfte. Darüber hinaus gibt er Schulungen in Diversity Management und fördert die Geschäftsanbahnung mit deutschen und polnischen Unternehmen. Dr. Malchow leitet verschiedene Seminare an deutschen und polnischen Hochschulen und produziert Trainingsfilme für Managementfortbildungen.